Das NDR-Nordmagazin hat mal wieder einen Beitrag gebracht, der vor Unkenntnis nur so strotzt. Nachdem ein Wolf Schafe auf einer auf einem Deponieberg hochgelegenen Weide gerissen hat, von welcher aus entfernt die Greifswalder Skyline zu sehen ist, schreibt der NDR:
Die Schäferin im Filmbeitrag:Die Wolfsrisse fanden nahe der Greifwalder Innenstadt statt. Vieles spricht dafür, dass der Wolf nicht menschenscheu war.
NDR, 04.02.2022: Gutachten: Wolf tötete Schafe bei Greifswald https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... 92930.html
Den Wolf hat also niemand gesehen - die Risse erfolgten in Abwesenheit von Menschen. Aber der Wolf hatte bei seinem Festmahl Aussicht auf die Greifswalder Skyline, und er wird sich doch wohl vorab bei Wikipedia erkundigt haben, dass da in reichlicher Entfernung von der Deponie knapp 60.000 Menschen leben, die man nur deshalb nicht sieht, weil sie nachts in ihren Häusern sind und schlafen."Mit dem ortsansässigen Jäger haben wir dann sogar Spuren hier gesichtet, und waren uns eigentlich alle einig, dass kann so dicht an der Stadt kein Wolf sein, sondern das müssen streunende Hunde gewesen sein." [...] Und das Gutachten ergab nun, dass es sich zweifelsfrei um einen Wolf gehandelt hat. Offenbar einen, der keine große Scheu mehr vor der Nähe der Menschen hat.
NDR, 04.02.2022: Gutachten: Wolf tötete Schafe bei Greifswald https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... 92930.html
Nun könnte man sagen, okay, dem/der verantwortlichen Redakteurin, der/die komplett frei von jeglichem Wolfswissen ist, ist halt die Phantasie durchgegangen. Für die skurrile Einschätzung hat sich der NDR aber noch einen Experten ins Boot geholt: Prof. Klaus Hackländer, der in den Medien eigentlich grundsätzlich nie in seiner Funktion als Professor für Jagdwirtschaft genannt wird, sondern immer als "Vorstandsvorsitzender DeutscheWildtierStiftung". Das klingt so kuschelig nach Naturschutzverein, ist aber eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts, die der passionierte Jäger und Unternehmer Haymo Rethwisch gegründet hatte, welcher, "getrieben von der Sorge um den gesellschaftspolitischen Bedeutungsverlust der Jagd", dem Jagdwesen die Notwendigkeit einer "stärkeren ökologischen Orientierung" bescheinigte.¹ Kritiker unterstellen der Deutschen Wildtierstiftung Greenscamming.²
Deshalb an dieser Stelle ein kleiner Exkurs: In den 90er Jahren erwarb der Hambrger Unternehmer und Stiftungsgründer "mit besonderem Faible für die Niederwildjagd"¹ das Gut Klepelshagen in Vorpommern, wo er als "Jagdherr [...] hohe Ansprüche an sein eigenes Handeln und das seiner Gäste und Mitarbeiter" stellte und 2013 "seinen Lebenshirsch streckte".¹ Die Aufhebung der Rotwildbezirke ist eine der Forderungen der Stiftung.
Die Tiere sollen frei wandern können, anstatt jenseits der abgesteckten Gebiete rigoros abgeschossen zu werden. [...] Oder ob, wie einige Kritiker meinen, die Forderung nach Freiheit nicht eher ein Vorwand ist, um den Bestand insgesamt zu vergrößern – und mehr Jägern die Möglichkeit zum Abschuss zu bieten. [...] Auch Klepelshagen trägt mit seinem Anspruch, Jagd und Naturschutz fortschrittlich zu verbinden, bisher recht wenig dazu bei, die Wissenslücken zu verkleinern.
taz, 10.10.2021: Rotwild-Jagd in Deutschland: Ins Licht gelockt https://taz.de/Rotwild-Jagd-in-Deutschland/!5450159/
Im NDR erklärt Prof. Hackländer den Wolf:Ein wissenschaftliches Monitoring zu Beständen, Schäden im Wald, überhaupt zu den Auswirkungen der Hege, also der Fürsorge fürs Wild im Jagdgebiet, fehlt selbst nach zwei Jahrzehnten. Schon am Anfang hatte man sich eher auf die Ideen des Stifters verlassen als auf wissenschaftlich Fundiertes. „Haymo Rethwisch verfügte über große Erfahrung als Naturschützer und Jäger und entsprechend über ein großes wildbiologisches Vorwissen“, sagt Stiftungsvorstand Klaus Hackländer. [...] Hackländer ist selbst Wissenschaftler, er lehrt Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien und ist der Deutschen Wildtier Stiftung seit Langem verbunden. Sie hat seine Habilitation finanziert, ihn ins Präsidium geholt, gerade wurde er zum Vorstand ernannt. Man plane nun für die Zukunft, wolle Erhebungen machen, etwa mithilfe von Wärmebildkameras und Drohnen.
taz, 10.10.2021: Rotwild-Jagd in Deutschland: Ins Licht gelockt https://taz.de/Rotwild-Jagd-in-Deutschland/!5450159/
Das passt ganz gut zu dem taz-Artikel, denn leider sagt Herr Hackländer nicht, warum sich Wölfe auch in bejagten Populationen regelmäßig in Siedlungsnähe begeben - wie in Schweden - und warum 81 nachgewiesene Wolfstötungen in Deutschland (davon 72 illegal) den vermeintlich Scheu verursachenden Effekt bislang nicht gehabt haben.³ Oder warum 535 bei Verkehrsunfällen getötete Wölfe ihren Artgenossen nicht beibringen konnten, Autos und Strassen als "Feinde" zu begreifen?³"Die ersten Wölfe, die nach Deutschland kamen, die kamen aus Regionen, wo sie tatsächlich auch den Mensch als Feind gesehen haben - dort wurde der Wolf reguliert, bejagt, illegal oder sogar legal. Und die Wölfe, die jetzt hier in Deutschland aufwachsen, die kennen diese Situation nicht - für die ist der Mensch nichts Böses. Das heißt, es ist auch nicht verwunderlich, dass Wölfe sich in die Nähe von menschlichen Siedlungen trauen."
NDR, 04.02.2022, Interview mit Prof. Klaus Hackländer; Filmbeitrag: Gutachten: Wolf tötete Schafe bei Greifswald https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... 92930.html
Herr Hackländer geht noch weiter:
"Ohne Zweifel notwendig", soso. Fragt sich - für wen! "Man" soll regelmäßig eine Quote berechnen. Wie gut, dass der Herr Hackländer dafür der Mann ist, der einen entsprechenden Auftrag aus Niedersachsen bereits erhalten hat und... dafür 90.000 € erhält - auf Kosten des Steuerzahlers, versteht sich. Da kann man die Notwendigkeit solcher Berechnungen gar nicht oft genug auf möglichst vielen Kanälen betonen."Perspektivisch muss man schon sehen, durch die Wachstumsrate, die wir gerade in Deutschland erleben, es ohne Zweifel irgendwann notwendig sein wird, dass man auch in Deutschland regelmäßig eine Quote berechnet, wieviele Wölfe tatsächlich entnommen werden müssen."
NDR, 04.02.2022, Interview mit Prof. Klaus Hackländer; Filmbeitrag: Gutachten: Wolf tötete Schafe bei Greifswald https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... 92930.html
Das Land Niedersachsen hat über den Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit der Größe der Wolfspopulation in Niedersachsen auseinandersetzt, die für den Erhalt der Art Wolf in Niedersachsen erforderlich ist. Diese wird vom Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ) der Universität für Bodenkultur Wien unter Leitung von Prof. Klaus Hackländer erstellt. Die modellbasierte Studie soll Erkenntnisse und eine bessere Datenbasis über die günstigste Referenzpopulation für den Wolf in Deutschland und - im Fokus - den niedersächsischen Anteil daran ermitteln. [...] Ergebnisse sollen im Winter 2021 vorliegen. Die Kosten belaufen sich auf 90.000 Euro.
Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, Pressemitteilung PI 075/2021 https://www.umwelt.niedersachsen.de/sta ... 00633.html
¹ Deutsche Jagdzeitung, 27.06.2014: Auf Jagd - Haymo G. Rethwisch: Stifter – Visionär – Jäger https://djz.de/haymo-g-rethwisch-2868/
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³ DBBW: Totfunde von Wölfen - Zusammenfassung nach Bundesländern https://www.dbb-wolf.de/totfunde/totfun ... eslaendern"Greenscamming ist eine PR-Technik, bei der umweltfreundlich klingende Namen und Bezeichnungen für Organisationen oder Produkte ausgewählt werden, die nicht umweltfreundlich sind. Eine häufig angewandte Greenscamming-Methode besteht z.B. darin, dass sich Anti-Umwelt-Organisationen umweltfreundlich bzw. „grün“ klingende Namen geben, die ein Interesse am Umweltschutz suggerieren, um die Öffentlichkeit über ihre wahren Absichten und Motive zu täuschen." [...] Im teuersten Hamburger Quartier Elbbrücken in der östlichen HafenCity entsteht der neue Sitz der reichen, industrienahen Wildtierstiftung. Ob die Kohle für diesen teuren Neubau auch von der Kohle kommt?
Mit der Deutschen Wildtierstiftung entsteht ein neoliberaler, industrienaher "Umweltverband" und Thinktank für Umweltfragen.
Gerade von AfD, FDP und vom rechten Rand von CDU & CSU und von Klimawandelleugnern und Gegnern der Energiewende wird gerne auf die Arbeit und die Thesen der Wildtierstiftung zurückgegriffen.
Mitwelt am Oberrein, Axel Mayer, Kategorie Greenwash, 29.07.2021: Wildtier Stiftung: Klimawandelleugner, Kritik & Mitverantwortung für Klimawandel & Artensterben? https://www.mitwelt.org/deutsche-wildti ... lobby.html