Wolf und Wildschwein
Jahrzehntelang wurde die Notwendigkeit der Hobbyjagd damit begründet, dass die großen Beutegreifer ausgerottet seien. Da sich die Jagdverbände als "anerkannte Naturschutzverbände" sehen, deren vorrangigsten Anliegen der Naturschutz und nicht das Töten von Wildtieren sei, wäre zu erwarten gewesen, dass die Rückkehr der Wölfe als willkommene Helfer begrüßt wird.
Und während nicht nur aufgrund der Gefahr der Übertragung der afrikanischen Schweinepest auf die Massenbestände an Hausschweinen zu einer erheblichen Reduktion der Schwarzwildbestände aufgerufen wird, belaufen sich auch die "normalen" von ihnen verursachten landwirtschaftlichen Schäden auf 17 Mio. € in Deutschland jährlich.
Schon seit Jahren kämpfen Bauern und Jäger nahezu machtlos gegen die steigende Wildschweinplage in Mais- und Getreideschlägen an [...] Experten beziffern den Schaden, den Wildschweine auf deutschen Feldern anrichten, mit 17 Millionen Euro pro Jahr.
Quelle: MDR, Schießen oder schützen? Sendung vom 14.12.2016
Im Niedersächsischen Landesjagdbericht von 2009 wird auf die Rolle der Jäger bezüglich der massiven Zunahme des Schwarzwildbestandes eingegangen. Ausdrücklich hervorgehoben wird dabei die Funktion der führenden Bache, die u. a. das Wanderverhalten innerhalb des kleinräumigen Nutzungsraums bestimmt und den Kontakt zu anderen Rotten verhindert, was hinsichtlich der Minderung des Risikos einer direkten Seuchenübertragung von Bedeutung ist. Die Leitbache stärkt die eigene Rotte, wirkt ihrem Zerbrechen entgegen und verhindert somit ein Abwandern anderer Rottenmitglieder. Bei der Tötung eines Frischlings wird der Bereich zudem zunächst gemieden.
Im Landesjagdbericht wird daher den Jägern nahegelegt:
Bevor drastische Maßnahmen ergriffen werden, sind die bestehenden Maßnahmen auszuschöpfen. [...]
1. Sofortige Bejagung aller schwachen Frischlinge auch bei mangelnder Verwertungsmöglichkeit.
2. Gesetzeskonformes Kirren statt Füttern.
3. Regelmäßig den Schießstand aufsuchen und Schießfertigkeiten verbessern.
4. Fehlendes Wissen über die Schwarzwildbiologie aufbessern.
Wild und Jagd Landesjagdbericht Niedersachsen 2009, Seite 15
https://www.ml.niedersachsen.de/service ... -5156.html
Diese Empfehlungen kommen nicht von ungefähr, denn die Art der Bejagung vornehmlich erwachsener Tiere mit guten Verwertungsmöglichkeiten bei "Füttern statt Kirren" und dem fehlenden Wissen über die "Schwarzwildbiologie" fördert offensichtlich erst recht eine Zunahme der Population und ihrer Ausbreitung.
Wenn man dem Menschen auf dem Hochsitz freistellt, was er erlegt, dann entscheidet er sich nicht für den Frischling, sondern für das größere Stück Wild. Das dient aber nicht der Begrenzung.
Biologe Michael Petrak, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv), Leiter Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung in der ARD, 26.10.2016: Steinzeitjagd gegen zu viele Wildschweine https://www1.wdr.de/wissen/natur/wildsc ... g-100.html
Da Wölfe nun nicht in Kilopreisen denken, sondern Beute bevorzugen, die leicht und mit wenig Risiko zu erlegen ist, stehen insbesondere Frischlinge auf ihrem Speiseplan - sie jagen also im Endergbnis intelligenter.
Der Nahrungsanteil des Schwarzwilds in der wölfischen Nahrung wird von Wolfsgegnern gern heruntergespielt - Wildschweine seien zu wehrhaft, Wölfe trauten sich nicht an sie heran.
Anhand von mittlerweile 6581 Losungsproben aus Deutschland von 2000 - 2016 konnte ein Biomasse-Anteil von Schwarzwild im wölfischen Kot in Höhe von 17,6% nachgewiesen werden. Damit steht das Wildschwein hinter dem Reh auf Platz 2, noch vor dem Rotwild.¹
Im niedersächsischen Landesjagdbericht 2018/2019 wird über eine Untersuchung aus Niedersachsen berichtet, nach der ein Schwarzwild-Anteil an der Gesamtbiomasse in Höhe von 33,78% festgestellt wurde und das Wildschwein damit an erster Stelle vor dem Rotwild steht.²
Der Anteil an Nutztieren an der Biomasse beträgt in den bundesweiten Untersuchungen lediglich 1,1% und in der niedersächsischen Untersuchung 0,49 % an der Gesamtbiomasse (a. a. O.).
Damit die Jäger trotz mangelnder Verwertbarkeit auch Frischlinge erlegen, erhalten Sie in vielen Bundesländern unter dem Etikett der Risikominimierung der Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest eine "Pürzelprämie" aus Steuergeldern - für ein Problem, das sie zum Teil selbst verursacht haben und dessen Bekämpfung durch eine verstärkte Jagd als äußerst zweifelhaft angesehen werden kann. Eine Studie aus Frankreich belegt, dass ein starker Jagddruck mit Zerstörung der Familienstrukturen einen Populationszuwachs sogar fördern kann (Servanty et al, Journal of Animal Ecology, 2009).
Jäger und Schwarzwildexperte Norbert Happ wird aus der Jagdzeitung Wild und Hund zitiert: "»Die Nachwuchsschwemme ist hausgemacht". Für die explosionsartige Vermehrung der Wildschweine seien die Jäger selbst verantwortlich: »Ungeordnete Sozialverhältnisse
im Schwarzwildbestand mit unkoordiniertem Frischen und Rauschen und unkontrollierbarer Kindervermehrung sind ausschließlich der Jagdausübung anzulasten«, so Happ (Jägerzeitung »Wild und Hund«, 23/2002)."³
In Niedersachsen wurden für die Jäger
3,5 Mio. € Steuergelder für die "Pürzelprämie" eingeplant. In Mecklenburg-Vorpommern wurde bis Anfang November zu dem selben Zweck mehr als
1 Mio € Steuergelder an die Jäger ausgezahlt und die Bezugszeit nochmal verlängert.⁵
Zum Vergleich: Die Schäden durch den Wolf betrugen 2017 in Niedersachsen
39.745 € und in Meck-Pomm
15.838 €.
Präventionszahlungen an die Tierhalter zur Errichtung von Herdenschutzmaßnahmen beliefen sich auf
487.502 € in Niedersachsen und auf
138.176 € in Meck-Pomm.⁶ Das ist ein Witz im Vergleich zu den großzügigen Steuergeschenken an die Jäger, die mit dem Wildbreterlös nochmal zusätzlich verdienen.
Man könnte den Nutzen des Wolfes hier also durchaus auch ausökonomischer Sicht hervorheben.
¹
DBBW: Portrait des Europäischen Wolfes https://www.dbb-wolf.de/Wolf_Steckbrief/portrait
²
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung,, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Wild und Jagd Landesjagdbericht 2017 / 2018, Seite 107
https://www.ljn.de/fileadmin/dateien/lj ... _18Web.pdf
³
https://www.brennglas.com/downloads/hz- ... -druck.pdf
⁴
NDR, 31.01.2018: Gifhorn setzt Wildschwein-Schonzeit aus
⁵
NDR, 08.11.2018: Land verlängert Pürzelprämie für Jäger https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenb ... rlaengert- Puerzelpraemie-fuer-Jaeger,wildschweine540.html
⁶
Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (2019): Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2017. 34 S.