Alles Wissen oder Nur-Was-Vormachen - das ist beim Hessischen Rundfunk die Frage
Oh je - "Alles Wissen" mit Thomas Ranft im Hessischen Rundfunk: Ist Wildfleisch ökologisch und gesund? Spoiler: Fragen Sie den Jagdverband!
Öffentlich-rechtliche Desinformation gruseligster Art überraschte mich gestern beim Zappen. Eine Sendung mit dem vielsprechenden Namen
"Alles Wissen" wollte der Frage auf den Grund gehen, ob Wildfleisch von Hobbyjägern wirklich ökologisch ist.
Wild aus heimischen Wäldern liegt im Trend. Und es scheinen ja auch tatsächlich einige Gründe dafür zu sprechen: Die Tiere leben in Freiheit und fressen einfach das, was ihnen die Natur anbietet. Außerdem müssen sie keine langen, stressigen Transportwege zum Schlachthof ertragen. Aber sind Reh, Hirsch und Wildschwein wirklich nachhaltiger und klimafreundlicher als Schwein und Rind?
HR, Alles Wissen, Sendung vom 16.17.2021 Wildfleisch - ökologisch und gesund? https://www.ardmediathek.de/video/alles ... 8xNTc2NjE/
"Mehr Bio geht nicht"
Eine Jägerin und Metzgermeisterin darf Eigenwerbung betreiben und sagt gleich am Anfang über das selbst und von anderen Jägern geschossene Wildtier-Fleisch:
"Mehr Bio geht nicht". Es sei
"das beste Fleisch", das
"man bekommen kann". Die Tiere hätten u. a.
"keinen Stress". Die Jagdszene vor dem Sonnenuntergang, die - wie zu erwarten - heute mal nicht vom Jagderfolg gekrönt ist - wird von aufregender Musik untermalt.
"Man muss ja auch sicher gehen, dass das Tier sofort tot ist, wenn man es schießt." Ja, ja, klar. Kein Wort von den grauenhaften Bildern und Szenen, die Nachsuche-Hundeführer in ihren Büchern beschreiben, kein Wort über die katastrophale letale Trefferquote bei Drückjagden von gerade einmal rund 30%. Hier wird Idylle pur gezeigt, und deshalb wartet man auf den Tötungsvorgang in Ton und Bild auch vergeblich:
"Heute bringt die 35jährige nichts mit in ihre Metzgerei."
Immerhin hört man die Sprecherin sagen:
"Es liegt nahe, dass Wild den besseren ökologischen Fußabdruck hat. Wissenschaftliche Studien dazu gibt es bisher aber nicht."
Das Thema Blei wird immerhin nicht ausgeklammert. Die gezeigte Jägerin verwendet nach eigenen Angaben natürlich kein Blei (
"Blei belastet auch die Böden") und findet, dass man
"heute eigentlich darauf verzichten sollte". Die Sprecherin betont, dass immer mehr Jäger auf Blei verzichten würden und klammert auch das debattierte EU-Verbot nicht aus. Aber dann folgen eben doch großzügig ausgelegte Empfehlungen:
"Wird dennoch mit Blei geschossen, sind bis zu fünf Mahlzeiten pro Jahr unbedenklich", sagt das Bundesinstitut für Risikobewertung. Das gilt allerdings nicht für Schwangere und Kinder. Sie sollten jegliche Bleiaufnahme vermeiden."
HR, Alles Wissen, Sendung vom 16.17.2021 Wildfleisch - ökologisch und gesund? https://www.ardmediathek.de/video/alles ... 8xNTc2NjE/
Fünf Mahlzeiten? Und fehlt bei der
Blei No Go-Gruppe nicht noch eine ganz entscheidende große Gruppe, nämlich
alle Mädchen und Frauen im
gebärfähigen Alter? Quasi die
gesamte weibliche Bevölkerung diesseits des Klimakteriums?
Werden, wie bei der Allgemeinbevölkerung in Deutschland üblich, nur ein bis zwei Wildmahlzeiten im Jahr verzehrt, bestehe durch die Aufnahme von Blei aus mit Bleimunition gewonnenem Wildbret kein erhöhtes Gesundheitsrisiko,[/b] [...]."
Bundesinsitut für Risikobewertung, 20.03.2013: Bleimunition führt zu höheren Bleigehalten im Wildbret https://www.bfr.bund.de/de/presseinform ... 33069.html
Das BfR ist deshalb der Auffassung, dass jegliche zusätzliche Exposition gegenüber Blei vermieden werden sollte. Dies gilt für alle Personengruppen (Männer, Frauen und Kinder). Für Kinder unter 7 Jahren gilt diese Aussage in besonderem Maße, weil bei ihnen neurotoxische Effekte auftreten können, die die Entwicklung des Nervensystems beeinträchtigen. [...]
Das BfR empfiehlt daher, dass insbesondere Kinder bis zum Alter von sieben Jahren, Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter auf den Verzehr von mit Bleimunition geschossenem Wild verzichten.
Bundesinsitut für Risikobewertung, 3. Dezember 2010: Bleibelastung von Wildbret durch Verwendung von Bleimunition bei der Jagd https://www.bfr.bund.de/cm/343/bleibela ... r-jagd.pdf
So weit, so schlecht. Die unterschiedlichen Werte, ob nun 1-2 oder 5-10 Wild-Mahlzeiten für Nicht-Kinder, Nicht-Schwangere und alle Nicht-Gebärfahigen denn nun "unbedenklich" sind, entstammen reinen Modell-Rechnungen ohne Einbeziehung der tatsächlichen im Fleisch befindlichen Bleigehalte. Außerdem ist es ohnehin problematisch, "unbedenkliche" Werte, so gering sie auch sein mögen, zu empfehlen:
In ihrem 2010 veröffentlichten Gutachten hat die EFSA neue Daten zur Bleiexposition der Bevölkerung in Europa und zur toxikologischen Wirkung des Schwermetalls systematisch ausgewertet. Aufgrund ihrer Modellrechnungen hält sie die für Blei international festgelegte, und jahrzehntelang angewendete vorläufig tolerierte wöchentliche Aufnahmemenge (PTWI) als Referenzwert für die gesundheitliche Risikobewertung nicht mehr für angemessen, um den Verbraucher ausreichend vor der Bleiexposition über Lebensmittel zu schützen. Neuere Daten belegen, dass bereits kleinste Mengen an Blei zu schädlichen Effekten im Körper führen können. Das heißt, es kann keine Dosis ohne Wirkung angegeben werden.
Bundesinsitut für Risikobewertung, 3. Dezember 2010: Bleibelastung von Wildbret durch Verwendung von Bleimunition bei der Jagd https://www.bfr.bund.de/cm/343/bleibela ... r-jagd.pdf
Lebensmittel, die hohe Bleigehalte aufweisen können, wie zum Beispiel mit Bleimunition erlegtes Wild, sollten daher nur in geringem Umfang verzehrt werden. [...]
Die EFSA (2010) empfiehlt, die Exposition gegenüber Blei über den Verzehr von Lebensmitteln weiter zu reduzieren, da sie gegenwärtig ein gesundheitliches Risiko durch Blei für Säuglinge, Kinder und Feten (Exposition der schwangeren Frauen) für möglich hält. [...]
Die Berechnungen [der empfohlenen unbedenklichen Verzehrsmengen]
sind mit großen Unsicherheiten verbunden, da die Annahme einer vollständigen (100 %) effektiven Lebensmittelüberwachung unrealistisch erscheint, sodass Werte über den dann geltenden Höchstgehalten nicht auszuschließen sind und sich entsprechend höhere Mittelwerte ergeben würden.
Bundesinsitut für Risikobewertung, 3. Dezember 2010: Bleibelastung von Wildbret durch Verwendung von Bleimunition bei der Jagd https://www.bfr.bund.de/cm/343/bleibela ... r-jagd.pdf
Und da liegt die Krux:
Blei ist ein toxikologisch bedenkliches Schwermetall, das für den Menschen keine physiologische Bedeutung hat und bereits in kleinsten Mengen zu schädlichen Effekten im Körper führen kann. Daher kann keine Dosis ohne Wirkung oder „ungefährliche Aufnahmemenge“ angegeben werden. Blei ist somit immer als unerwünschte Kontamination anzusehen. Es reichert sich im Organismus an, kann die Blutbildung, innere Organe wie die Nieren sowie das zentrale Nervensystem schädigen. Zudem lagert es sich in den Knochen ab.
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Wildfleisch frei von Blei und Keimen?
Chemische und mikrobiologische Untersuchungen im LAVES (2021) https://www.laves.niedersachsen.de/star ... 73576.html
Wildfleisch und die daraus hergestellten Erzeugnisse können besonders viel Blei enthalten, wenn das Wild mit bleihaltiger Munition erlegt wurde. Beim Aufprall verformen oder zerlegen sich die Geschosse. Es lösen sich kleinste Partikel und feinste Splitter, die tief in das Fleisch eindringen und kaum oder gar nicht zu erkennen sind. Insbesondere im Gewebe in der Nähe des Schusskanals, aber auch in größerer (gegebenenfalls bis zu 45 Zentimeter) Entfernung sind teilweise noch sehr hohe Bleimengen nachweisbar.
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Wildfleisch frei von Blei und Keimen?
Chemische und mikrobiologische Untersuchungen im LAVES (2021) https://www.laves.niedersachsen.de/star ... 73576.html
Lebensmittelsicherheit kann selbst durch eine Beprobung nicht gewährleistet werden:
Die Analytik von Blei in Wild ist für das Untersuchungslabor immer eine besondere Herausforderung, weil die Bleipartikel auch bei intensiver Zerkleinerung des Probenmaterials ungleichmäßig verteilt sind. Bei Stichprobenuntersuchungen werden stark schwankende Messwerte festgestellt. Je nachdem, ob ein Bleipartikel bei der Einwaage erfasst wurde oder nicht. [...]
Bislang ist kein zulässiger Höchstgehalt für Blei in Wildfleisch oder daraus hergestellten Erzeugnissen festgelegt. Eine rechtliche Beurteilung erfordert daher immer eine toxikologische Abschätzung, bei der unter anderem die Verzehrsmenge zu berücksichtigen ist. Für Wild-Produkte liegen derartige Daten jedoch meist nicht vor, sodass jede Beurteilung eine komplexe Einzelfallentscheidung darstellt. Dabei kann immer nur die untersuchte Probenmenge betrachtet werden. Wegen der inhomogenen Verteilung der Bleipartikel ist auch keine Übertragung auf eine gesamte Charge möglich.
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Wildfleisch frei von Blei und Keimen?
Chemische und mikrobiologische Untersuchungen im LAVES (2021) https://www.laves.niedersachsen.de/star ... 73576.html
Untersuchungsergebnisse des LAVES: Blei in 41 von 43 Proben
In 41 der 43 untersuchten Proben konnte Blei nachgewiesen werden. In etwa der Hälfte der Proben lag der Bleigehalt dabei unter 0,1 mg/kg. Diese Menge ist in Fleisch von Schweinen, Rindern, Geflügel oder Schafen zulässig. In 20 Proben wurden jedoch deutlich höhere Gehalte größer als 1 mg/kg festgestellt, davon sechs Proben mit Blei-Mengen größer als 10 mg/kg.
11 Proben (26 Prozent) wurden beanstandet, davon drei (sieben Prozent) sogar als gesundheitsschädlich. Die Blei-Gehalte dieser drei Proben lagen bei 98, 231 und 363 mg/kg.
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Wildfleisch frei von Blei und Keimen?
Chemische und mikrobiologische Untersuchungen im LAVES (2021) https://www.laves.niedersachsen.de/star ... 73576.html
Vertrauen Sie doch einfach Ihrem Jäger... Dort wird immer ganz genau, transparent und gewissenhaft gerabeitet:
Von den in den Jahren 2018 bis 2021 untersuchten 43 Proben wiesen 24 Proben Kennzeichnungsmängel auf. Dazu zählten unzureichende Bezeichnungen, fehlende Angaben der einzelnen Wildtierarten im Zutatenverzeichnis, fehlende oder falsche Angaben des Fleischanteils, fehlende oder falsche Angaben des Mindesthaltbarkeitsdatums oder fehlende beziehungsweise fehlerhafte Angaben zu Zutaten, Zusatzstoffen und weiteren Pflichtangaben. Insbesondere bei Bezeichnungen mit „Wild“ - wie zum Beispiel Wildbockwurst oder Wildmettwurst, die auch unter Verwendung von Schweinefleisch hergestellt wurden - fehlte der Hinweis auf eine Mitverarbeitung von Schweinefleisch in der Bezeichnung.
Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Wildfleisch frei von Blei und Keimen?
Chemische und mikrobiologische Untersuchungen im LAVES (2021) https://www.laves.niedersachsen.de/star ... 73576.html
Nicht nur in Niedersachsen:
Die Verbraucherzentrale warnt jedoch: Wild wird oft mit bleihaltiger Munition gejagt. Blei kann also auch in das Fleisch übergehen. Das Schwermetall kann für Mensch und Tier bereits in geringen Mengen schädlich sein. [...]
Besonders in der Weihnachtszeit steht Wildfleisch hoch im Kurs. Es gilt als besonders natürliche und gesunde Delikatesse. Die Stimmung trübt eine aktuelle Untersuchung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Demnach enthielten rund Dreiviertel der 75 untersuchten Wildwurstwaren Bleirückstände. Sechs Proben wurden als „nicht zum Verzehr geeignet“, eine Probe sogar als „gesundheitsschädlich“ eingestuft.
Wildschweinprodukte waren dabei tendenziell stärker belastet als solche von Reh oder Hirsch. „Während beispielsweise für Fleisch von Rind und Schwein EU-weite Höchstgehalte für Blei gelten, gibt es solch einen Grenzwert für Wildfleisch bislang nicht. Das ist problematisch“, erklärt Tina Hanke, Fachberaterin für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Thüringen.
ABG-Net, Verbraucherzentrale Thüringen, 17.12.2021: Wildbret nicht ohne Risiko https://www.abg-net.de/aktuelles/nachri ... ne-risiko/
Nee klar, :
"Mehr Bio geht nicht!"